Fragenbeantwortungen

von Abdrushin



Obsah


85. Märchen-Überlieferung

In grauer Vorzeit, als Himmel und Erde noch eines waren, als die Sterblichkeit noch unbekannt war und Allah selber in aller Herrlichkeit mit den Seinen hienieden wandelte, da hatte er einen Freund und Diener, von dem er sich nie trennte und vor dem seine Seele kein Geheimnis kannte. Omkar hiess er, der so erleuchtet und erhaben war, dass alle sieben Seligkeiten vor ihm aufgetan lagen.

Sprach eines Abends Allah mit tiefer Wehmut zu seinem Freunde und Diener also: „Siehe, mir ist der Wandel und das Ende aller Dinge offenbar. Ich sehe den Verfall des Menschengeschlechtes, sehe seine Untaten und sehe die Sünde. Bald werden wir unsere Füsse aufheben müssen von diesem Erdenballe und ihn fliehen. Immer tiefer werden dann die Zurückbleibenden sinken, bis kein Weg mehr von ihnen zu uns hinauf führt!“

Sprach Omkar und sein Herz erbebte: „So gibt es keine Rettung jenen Unglücklichen?“

Neigte Allah sein ewiges Haupt und sprach. „Doch, wenn einer der unseren in der dunkelsten Stunde ihrer tiefesten Verirrung sich freiwillig unter sie mischte, das letzte, kümmerliche Lichtfünkchen in ihnen mit Sturmesatem anbliese zu rauschender Flamme, die das Dunkel verzehrend die neue Zeit gebiert, — dann — —“.

Jubelte Omkar und flehte. „Oh, Gebieter, da lass mich es sein, so Du mich wert erachtest, ihnen das Licht zu bringen!“

Lächelte der Allgütige. „Sei es, wie Du erbittest, aber Bedenk- und Probezeit will ich Dir geben; denn durch alle Tiefen und Schmerzen führt dieses Amtes Weg.“

— — — Der Finger Allahs stellte eine neue Weltenstunde. Fernab des Lichtes kreiste der Erdenball in tiefer Finsternis; als unklares Sehnen nur lebte in Wenigen noch die Erinnerung an die lichte Vergangenheit ihres Sternes.

Rief Allah, der Ewige, seinen Diener und Freund vor sein Angesicht.

„Rüste Dich“, so sprach er ernst, „hinabzusteigen, die Spanne dort zu leben, die ich als Bedenkzeit Dir zumass. Denn fremd und feind ist Deiner lichten Seele die geistige Nacht dort unten. Dann erst sage mir, ob Deine Kräfte reichen mögen zu dem erbetenen Werke“.

Warf sich Omkar auf sein Angesicht, dankte und grüsste den Ewigen.

Nieder sank er dann der Erde entgegen, und in Allahs Hand zurück blieb sein Wissen vom Licht und seiner Lichtgeburt.

Im Zauberland der tausend Wohlgerüche betrat sein Fuss diese Erde. Fremder Odem umwehte den Erdenfremden, unnennbares Heimverlangen zerriss unbegriffen seine Seele. Sein Stamm erhob ihn, den kühnsten Reiter und todverachtenden Krieger zu ihrem Scheich. Er lieh seinen starken Arm den Unterdrückten und Schwachen, stritt in zahllosen Kämpfen für Gerechtigkeit und Wahrheit, unbekümmert um den mächtigen Feind am Nil, den er sich und seinem Volke damit schuf.

Jeder Tag sah neue Kämpfe, neue Siege, — — die Nächte aber lag er in der Grenzenlosigkeit seiner Wüste, an sein Pferd geschmiegt oder vor dem leichten, einsamen Zelt, und über ihm wandelten lautlos die Sterne, sich in den mit verzweifeltem Fragen nach ihnen gerichteten Augen spiegelnd.

Und Allah neigte sich herab und sah die Qual und den Zwiespalt in seines Freundes und Dieners Seele, in der Liebe mit Härte, Nachsicht mit Strenge in ewigem, unversöhnlichem Streite lagen. Und es erbarmte ihn so, dass er den Getreuen alsbald wieder zu sich berief.

Wieder stand Omkar vor dem Ewigen, und seine Erdenerfahrungen lagen vor ihm hingebreitet gleich einem bunten Gebetsteppich, auf den er grübelnd niederstarrte.

Er floh an des Thrones Stufen und bat. „Gebieter“, so sprach er düster, „wohl erneuere ich meine heisse Bitte, mich hinabzusenden in letzter Stunde, doch eines gewähre mir noch, dass der Strahl Deines Schwertes scharf und biegsam jedem Feinde gewachsen sei: Nimm von mir Liebe und Schwäche, Mitleiden und frohen Glauben an der Menschen Sagen und Tun!“

Neigte Allah sein ewiges Haupt und nickte abermalen Gewährung.

„Es sei“, sprach er, „dass Du das scharfe Schwert werdest in meiner Hand. Doch zur Stunde der Erfüllung muss ich sie Dir wieder beigeben, dass Du dann wieder eines seiest, wenn auch durch die dünne Wandung zweier Körper gespalten.“

In tiefen Schlummer versenkte alsbald Allah seinen Freund und Diener, an dem sich das Mysterium der Zweiwerdung vollziehen sollte. Nacht der Bewusstlosigkeit umfing ihn, aus der ihn ein Lachen riss, das seine ernste, strenge Seele erschrecken liess. — Es perlte glockenrein durch alle sieben Himmel Allahs, schallte unbekümmert von seines goldenen Thrones sieben Stufen wider, es schwang sich übermütig darüber hinaus ins blaue All, dem es sich aufjubelnd vermählte.

Erstarrt stand Omkar, unfähig zu begreifen, dass dies ein Stück von ihm sei, was da herantollte und ihn jubelnd und lachend umwirbelte.

Gebieter, lass sie eine kleine Spanne hinab, auf dass ich mich erst an mich selber gewöhne.“

Nickte der Ewige abermalen lächelnd Gewährung, und kein perlendes Lachen störte mehr die Gedanken des Erleuchteten.

Es war verstummt, erstickt. — —

Fremd und einsam inmitten eines der prunkvollsten Königshöfe der Menschheit, mit dem seherischen Blicke für die dunkle Zukunft ihres Volkes gleich einem Fluche beladen — schritt sie durch ihre Erdenjahre wie durch eine Gruft. In ihrem dunklen Leid nach Allahs ewigen, unverrückbaren Gesetzen Karma lösend, das Omkar, ihr anderes Selbst, in seinem Kriegerdasein knüpfen musste.

Der Dolch ihres Mörders zerschnitt den letzten, fesselnden Karmaknoten. Zurück blieben Leid und Dunkel mit dem Kleide ihres irdischen Körpers. Aufjubelnd schwang sie sich hinauf in Omkars Arme. Dem Gesetz ihrer Einheit gehorchend, nie sich zu trennen, schwur sie ihm zu. — — Er sah sie an, das Glück eines Lächelns aus ihrer Hand empfangend. —

— — — Stellte der Finger Allahs eine neue, eine letzte dunkle Erdenstunde! Undurchdringliche Nacht lastete um den Stern; der Blutrausch von Millionen in zahllosen Kriegen Dahingemordeter schwelte, und das Getöse irren Taumels gellte bis hinauf.

Da berief Allah seinen Freund und Diener. Tiefernst und besorgt war sein Blick.

„Die Stunde ist da, Dein Wunsch sei Dir erfüllt, ziehe denn hinab in Frieden!“ und er wandte sein Angesicht ab, eine Träne zu verbergen.

Wieder blieb das Weltlichtwissen zurück in Allahs Hand, der es erst dem Erprobten und Bewussten zurückgeben durfte. Voll tapferen Stolzes liess Myriam ihn ziehen, in der Gewissheit, ihm bald folgen zu dürfen.

Das Zentrum der neuen Zeit, das Reich im Sonnenuntergang, betrat nun sein Fuss; doch unbewusst trieb es ihn noch einmal dorthin, wo er vor tausenden von Erdenjahren kämpfte und litt. Bruder fühlte er sich den wilden und dunklen Gesellen, deren weisser Burnus im Winde rasender Ritte knatterte, sah in die hageren und kühnen Gesichter gleichwie in einen Spiegel.

Doch er lauschte und suchte vergeblich, keine Stimme wurde laut, ihm Antwort zu geben. Weiter trieb es ihn, in neue Länder, zu fernen Völkern, wie unter der Peitsche uralten Nomadenblutes. —

— — — Inzwischen war die Zeit gekommen, in der auch Myriam hinab musste. Rief der Ewige sie vor sein Angesicht; und wie sie kam und fröhlich lächelnd zu ihm aufblickte, strömte seine Liebe über sie hin und er sprach also:

„Myriam, mein Kind, so ziehe denn auch Du hinab, ihm nach, dem Du zugehörst wie der Körper dem Haupte, der Baum den Wurzeln, die ihm die Kraft zuführen. In Deine Hände lege ich von der strahlenden Alliebe des Schöpfers, dass Du die Wunden heilest, die er in meinem Dienste, in Erfüllung des Wortes schlagen muss, wenn sich die Stunde erfüllt. Gesegnet sind Deine Hände mit der schöpferisch heilenden Kraft meiner Alliebe!“

Und Allah segnete sie, die seinem Herzen nahe stand, und gebot seinen Engeln, das werdende Kindlein hinabzubegleiten und treulich bei ihm zu wachen. So geschah es denn, dass Myriam wunderbar geleitet durch die Spanne Erdendasein schritt, die sie allein, ohne Omkar durchmessen musste und an der Wegkreuzung, die Allahs Finger als Treffpunkt gezeichnet, ihm kindergleich entgegentrat.

Weit und beschwerlich war sein Weg gewesen, müde und verstaubt, mit schwerer Bürde bitterer Erdenerfahrungen beladen stand er vor ihr!

Noch band Erdenblindheit die Augen beider; nur gleiches Sehnen regte sich mahnend in ihrer Brust. Sie reichten sich die Hände und begannen tapfer, ohne sich umzublicken, den schmalen Pfad zu erklimmen, der vor ihnen himmelan strebte und den sie als den ihren erkannt hatten. — — —

Da erfüllte sich die Zeit, die aushob, die zwölfte Stunde zu schlagen!

Der Ewige selber löste die Binde von Omkar und Myriams Augen, an der das Menschengeschlecht durch Jahrtausende emsig gewebt, der es stets neue klingende Namen ersonnen, sich selber und ihrem törichten Tun zum Preise.

Die Wand wich! Es war wie einst in grauer Vorzeit: sie wandelten auf Erden; doch ihre Augen ruhten fest und ungeblendet in Allahs ewiger Herrlichkeit.

Der Ring des Geschehens schwang sich, Beginn und Ende strebten ihrer Vereinigung entgegen.

Zurück blickte Omkar, der nun Wissende, seines Erdenpfades Spur und neigte sich schweigend vor der Allweisheit der Führung, die ihn wie edlen Stahl geglüht, gehämmert und gehärtet.

„Dass ich das gute Schwert sei in Deiner Hand“, murmelte er aufwärtsblickend, und die Erkenntnis seiner Aufgabe schlug in ihn wie ein zündender Blitz. In flammender Begeisterung bejahte der Mensch Gewordene tausendfach den urzeitlichen Entschluss. Und Allah empfing diesen neuen Schwur und sandte dem Getreuen Scharen lichter Streiter, ihm beizustehen in dem nun anhebenden Entscheidungskampfe.

Denn weithin erkennbar stand er nun in schimmernder Wehr, die nicht von dieser Erde war, da in der Stunde der Erfüllung Allahs Finger den dunklen Mantel von seinen Schultern gestreift.

Im urewigen Hass des Dunkels gegen alles Lichte und Reine kochte es auf zu seinen Füssen und schwoll ihm brodelnd entgegen, ihn zu vernichten.

Bebend vor verhaltener Kraft und Ungeduld sprang er hinein, wo es sich am wütendsten ballte, einem Blitze gleich das Dunkel spaltend, Bresche reissend, in die sich ihm nach die lichten Heere zu stürzen vermochten. Ihm zur Seite Myriam, liebend-dienend, die Wunden heilend, die er schlagen musste, dem Worte gehorchend.

Aussichtslos erschien zuerst dieser Kampf, gleichsam auf dem Nährboden des Dunkels selber geführt, das immer neue, unabsehbare Menschenmassen ausspie, die in verbissener Wut und Verblendung bestienhaft gegen das fochten, was sie nicht zu begreifen vermochten und was ihre Götzen bedrohte, die sie sich in jahrtausendelangem Mühen aufgerichtet.

Viele jedoch, in denen noch ein tief verschüttetes Fünkchen von Allahs Licht glomm, horchten auf! Uraltes Sehnen erwachte und wuchs rasch, genährt von den Lehren des Propheten. Sie strömten ihm zu, jubelten dem Befreier von schwerem geistigen Joch entgegen, und harrten gläubig der verheissenen Zeit des Lichtes im Grauen der Gegenwart.

Und als die langverheissenen Zeichen endlich geschahen, als die Erdkugel gleich wie ein Ball in der Hand eines spielenden Kindes weit hinaus flog aus ihrer Jahrmillionen alten Bahn, als das Gestirn am neuen Himmel aufstieg, breit den lichten Schweif hinter sich ziehend, unter dem schon einmal eine Menschheit anbetend aufs Angesicht fiel, — da stieg aus dem Wimmern und Brüllen der Vernichtung ein millionenfacher sieghafter Jubelschrei dankerfüllt auf zu Allahs Thron!

— — — Der Staub des Gewesenen ward Dung nur dem Neuen. Nichts erinnerte mehr an den Gold- und Blutrausch der dunklen Vergangenheit. —

In lichter Klarheit kreiste der Erdball zu Füssen Allahs, des Urewigen, dessen Augen mit Wohlgefallen und Liebe den Stern umfingen, auf dem Omkar, der Streiter und Sieger, ihm nun als Priester diente, bis übermächtiges Heimverlangen den Erdenmüden wieder hinauftrieb.

Allah aber liess dem getreuen Freund und Diener zu seiner Heimkehr an seines Thrones Stufen ein Fest bereiten, dessen Glanz in klaren Nächten bis hinab zur Erde strahlte und in die Brust der Menschen heisses, unnennbares Dorthinaufsehnen goss ...

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